„Xenoblade Chronicles 2? Pah, das erscheint doch niemals 2017!“, sagte der Skeptiker und zeigte sich verblüfft als Nintendo passend zum Dezember-Anfang das erste JRPG-Must-Have für die Nintendo Switch veröffentlicht.

Als Xenoblade Chronicles vor knapp 6 Jahren erschien, wurde es mit Lob geradezu überhäuft. Die unscheinbare Wii mit ihrer Technik von vorgestern, habe laut Kritikern einen Titel hervorgebracht, der nichts weniger als die Zukunft der japanischen Rollenspiele aufzeige: Und dabei beweist, dass ein oftmals totgesagtes Genre doch noch eine strahlende Zukunft besitze. Nachdem die Entwickler von Monolithsoft mit Xenoblade Chronicles X einen kurzen Abstecher ins Open-World-Genre wagten, kehren sie nun zu den Wurzeln der Reihe zurück. Xenoblade Chronicles 2 präsentiert sich wieder linearer und setzt seinen Fokus auf das Erzählen einer Geschichte, aber natürlich ohne dabei die obligatorischen malerischen Landschaften zu vernachlässigen. Kann es damit die Versprechen seines gefeierten Vorgängers einlösen — oder herrscht laue Stagnation?

Auf Titanen durchs Wolkenmeer

Was ist die Quintessenz von Xenoblade? Die Entwickler von Monolith kamen offenbar zu dem Schluss, dass diese sich mit „Leben auf Lebewesen“ zusammenfassen lässt. Entführte uns das erste Xenoblade auf den Rücken zweier gigantischer kämpfenden Götter, leben in Xenoblade 2 Mensch und Tier auf Wal-ähnlichen Titanen, die gemächlich durch ein endloses Wolkenmeer schwimmen. In der Entfernung steht mystisch ein unerreichbarer Weltenbaum. Auf seiner Spitze, so sagen es die Legenden, lebt der gottgleiche Architekt in einem Paradies namens Elysium. Die Welt ist jedoch nicht für die Ewigkeit geschaffen: Die Titanen werden schwächer, stolze Königreiche gehen mit ihren einstigen Beschützern unter und ein Krieg über Lebensraum bricht aus.

Gigantische Titanen bahnen sich den Weg durchs Wolkenmeer – und mit ihnen Menschen

In dieser Atmosphäre lebt Rex, ein typischer JRPG-Protagonist der Sorte „gutherzig, naiv, etwas langweilig“, den knallharten Alltag eines Schrotttauchers, der im viel zu jungen Alter bereits für seine Familie aufkommen muss. Auf einer trügerischen Mission trifft er auf das Blade Pyra — und macht es sich zur Mission Elysium zu finden und die Welt zu retten. Von hier aus entwickelt sich eine unterhaltsame Story mit einigen interessanten Twists und Wendungen.

Der große Cast an Helden ist sympathisch und auch das ebenso große Aufgebot an Widersachern hat seine ganz eigenen Geschichten zu erzählen. Die Story von Xenoblade Chronicles 2 schneidet viele interessante — und teilweise sehr aktuelle — Themen an, schreckt jedoch meist davor zurück, allzu tief auf diese einzugehen. Das mag dem Wunsch von Serien-Schöpfer Tetsuya Takahasi entsprungen sein, eine Story zu erzählen, die auch eine etwas jüngere Zielgruppe anspricht. Am Ende bleibt eine Story, die gutem Genre-Standard entspricht, ohne jemals schrecklich spektakulär zu sein – man wird zudem das Gefühl nicht los, dass sich in Xenoblade 2 mehr Geschichten verstecken als es preisgibt.

Aller Anfang ist langsam — und erschlagend

Xenoblade Chronicles 2 ist zwar nicht so überladen wie Xenoblade Chronicles X, doch wer dachte, dass die freundlichere Optik mit einem weniger verworrenen Spielsystem einhergeht, sieht sich getäuscht. Einmal mehr gibt es dutzende Mechaniken und Systeme, die es im Verlauf des Spiels zu durchdringen gilt. Vieles davon wird vom Spiel lediglich in knappen Worten — oder gleich gar nicht — erklärt. Selbst Xenoblade-Veteranen können sich anfangs geradezu erschlagen fühlen: Was ist nochmal der Unterschied zwischen Blade Combos und Driver Combos? Was sind eigentlich Fusion Combos? Elemental Orbs? Und was hat es noch gleich mit den Core Crystals, Pouch Items und Aux Cores auf sich? Die einzelnen Mechaniken sind zwar simpel gehalten, doch in ihrer schieren Masse fällt es leicht den Überblick zu verlieren.

Das wäre halb so schlimm, könnte man in einer Anleitung schmökern oder Tutorials im Menü ein weiteres Mal aufrufen, um die Erinnerung aufzufrischen. Doch das ist nicht möglich — und dies kann schnell zu einem großen Problem werden. Denn die Kämpfe in Xenoblade Chronicles 2 sind vollständig darauf ausgelegt, dass der Spieler regen Gebrauch von allen Finessen des Kampfsystems macht. Driver Combos, Blade Combos und Chain Attacks greifen hervorragend ineinanander und sorgen für hektisch spaßige Kämpfe, in denen man aufgeregt zwischen den Blades wechselt, um so schnell wie möglich Spezialangriffe für eine verheerende Blade Combo aufzuleveln. Gleichzeitig versucht man alles perfekt mit einer Driver Combo zu timen und anschließend zu einer ultra starken, mehrere Runden andauernden Chain-Attack aufzurufen. Wenn alles zusammenkommt, bietet Xenoblade Chronicles 2 unheimlich befriedigende Schlachten — doch sobald auch nur ein Puzzle-Stück fehlt, bricht alles ineinander. Dann ziehen sich selbst Kämpfe gegen einfache Mobs plötzlich wie Gummi. Die Entwickler von Monolithsoft stellen leider nicht ausreichend sicher, dass genau dies nicht  passieren kann.

Zu Beginn dauert es zudem eine ganze Weile bis man eine vollständige Party um sich versammelt, genügend Blades besitzt und Zugriff auf alle Feinheiten des Kampfsystems erhält. Gekoppelt mit einigen Design-Änderungen, kann sich die Action für eine lange Zeit äußerst gemächlich anfühlen. Ich gebe es ganz offen zu: Xenoblade Chronicles 2 brauchte seine 10, wenn nicht gar 15 Stunden bis es voll und ganz bei mir zündete. Zuvor war ich frustriert und verwirrt — von Monolithsoft war ich Besseres gewöhnt. Als das Tempo anzog — und ich endlich den genauen Ablauf der Blade Combos begriffen habe — änderte sich dies glücklicherweise.

Wenn bereits Vergleiche zu Xenoblade Chronicles X gezogen werden, kann auch das User Interface nicht unerwähnt bleiben. Wir erinnern uns: Xenoblade Chronicles X besaß dutzende Menüs und Untermenüs, die ihr Bestes taten, um wichtige Informationen vorm Spieler zu verstecken. Xenoblade Chronicles 2 geht in diesem Punkt ein Schritt in die richtige Richtung — ist aber noch immer nicht ideal. Das Interface ist noch immer überladen und oftmals unintuitiv. Elementare Dinge wie das Öffnen einer nützlichen Map, die Beschwörungsanimationen neuer Blades oder das Bestätigen abgeschlossener Merc-Missionen dauern zu lange. An einigen Stellen treffen sinnige Neuerungen auf unerklärliche Rückschritte: In der Quest-Liste gibt es nun optional Thumbnails anhand derer man Quests auf einem Blick identifizieren kann — doch gleichzeitig kann man seine Quests nicht mehr nach Orten sortieren.

Entschlackt auf Quest-Jagd

Apropos erschlagen: Mit Ehrfurcht betrat ich die erste große Stadt des Spiels. Ich kenne schließlich die Vorgänger in und auswendig und wusste, was nun passieren würde. Kaum setze ich einen Schritt in den beschaulichen Ort, werde ich plötzlich mit duztenden Sidequests bombardiert. Zu meiner Überraschung blieb dies aus: Xenoblade Chronicles 2 hat die Anzahl an Quests deutlich entschlackt. Kratzten einzelne Städte im Vorgänger bereits an der 100-Quests-Marke, scheint Xenoblade 2 in seiner Gänze so viele Quests zu besitzen. All die Quests, die einem ohne Story auf Monster- oder Sammeljagd schickten? Ein für allemal gestrichen. Jedes Nebenabenteuer erzählt nun eine kleine Story — auch wenn diese in der Regel noch immer nur mäßig spannend sind.

Xenoblade 2 präsentiert sich fokussierter, weniger überschweifend als seine Vorgänger — und ist somit deutlich einfacher zu managen. Manch eine Stadt wirkt so aber fast schon etwas leer.

Ein Art-Design, das seinesgleichen sucht

Es kommt nicht überraschend, doch das Welten-Design ist einmal mehr konkurrenzlos schön. Die Umgebungen sind kreativ gestaltet und geben des Öfteren geradezu atemberaubend schöne Aussichten frei, die Flora und Fauna ist reich am gedeihen und die Tierwelt reicht vom friedfertigen Schmusemonster bishin zum furchteinflößenden T-Rex. Seien es die grünen, von Wolken umschlungenen Wiesen Gormotts, die mysteriös strahlenden Höhlen Ulayas oder gar die Wüste Mor Ardains: Jedes Gebiet lädt zum Erkunden, Forschen und Verweilen ein. Die Titanen sind zwar deutlich kompakter und fokussierter als die grenzenlosen Gebiete aus Xenoblade Chronicles X, bieten umgekehrt aber auch einen deutlich größeren Grad an thematischer Abwechslung. Die genaue Anzahl an Gebieten möchte ich nicht vorweg nehmen, doch so viel sei verraten: Der Umfang von Xenoblade 2 hat mich sehr positiv überrascht. Immer, wenn ich dachte nun alle Titanen gesehen zu haben, ging die Reise auch schon weiter. Bis ich die Story abschloss, gingen gute 80 Stunden ins Land.

Gerade im Vergleich zur japanischen Genre-Konkurrenz wirkt das Welten-Design von Xenoblade Chronicles 2 fast schon lächerlich gut: Was uns die Entwickler hier bieten, steht trotz einiger technischer Defizite Meilen über den trostlosen Feldern aus Tales of Zestiria oder gar den ebenfalls oft kargen und öden Umgebungen von Final Fantasy XV.

Von tragbarem Pixelmatsch und himmlischen Klängen

Technisch kann Xenoblade Chronicles 2 mit seinen Ambitionen gelegentlich nicht ganz mithalten. Hielt Xenoblade X fast immer eine stabile Framerate, fängt Xenoblade 2insbesondere in Städten und aufwendigeren Gebieten gerne einmal etwas zu ruckeln an. Dies ist besonders in der Gormott-Region auffällig. Auch die Bildqualität schwankt von Gebiet zu Gebiet: Mal wirkt alles knackscharf, in Gebieten wie Mor Ardain wirkt das Spiel dagegen oftmals etwas unscharf und verschwommen.

Das reicht aber nicht um einen gelungen technischen Eindruck zu revidieren — zumindest solange man am Fernseher spielt. Spielt man im Handheld-Modus kommt es schnell zur großen Ernüchterung: Hier schwangt die Grafik von Xenoblade 2 zwischen okay und einem unansehnlichen, pixeligem Matsch. In hektischen Kämpfen geht die Auflösung gerne einmal vollständig in die Knie — in solchen Situationen kann es schwer fallen, überhaupt noch den Überblick zu bewahren. Als großer Fan des Handheld-Gamings stellt dies eine herbe Enttäuschung für mich dar.

Aber auch wenn die Grafik ab und zu enttäuscht, bleibt zumindest der Klang durchwegs phänomenal. Chrono Trigger-Legende Yasunori Mitsuda und das Komponisten-Team ACE+ haben einen 120 Stück starken Soundtrack entworfen, den man gerne einmal auch einfach im Hintergrund laufen lässt. Besonders schön sind auch die eingesungenen Lieder der irischen Band Anuna, die eine ganz wunderbare Atmosphäre aufkommen lassen — eine erste Kostprobe hat Nintendo bereits auf YouTube veröffentlicht. Auch die englische Synchro weiß nach einer kurzen Eingewöhnungszeit zu gefallen — insbesondere Nias Stimme wuchs mir schnell ans Herz.

Alles pervers, oder was?

Kaum ein Aspekt von Xenoblade 2 wurde im Vorfeld so kritisch und kontrovers diskutiert wie das neue Charakter-Design. Insbesondere die Heldinnen stoßen auf Protest: Pyras freizügiges Design mit absurder Oberweite sehe albern aus und auch die seltenen Blades geizen nicht mit einer allzu aggressiven Darstellung weiblicher Reize. Inwieweit versucht Xenoblade 2 also auf die sexuellen Gelüste heranwachsender Jungen einzugehen? Die Antwort ist: Zum Glück hält es sich im gewohnten Rahmen. Das Design von Pyra und einiger anderer Heldinnen sieht auch nach 80 Stunden Spielzeit noch albern aus — aber abgesehen von vereinzelten sexuellen Anspielungen hält sich Xenoblade Chronicles 2 mit der sexuellen Darstellung gewohnt zurück. Die weiblichen Charaktere sind nicht nur Fleischbeschauungen, die Oberweiten wackeln nicht und der Grad der Sexualisierung entspricht eher einem typischen Tales-Ableger als manch einem perversen Vita-Rollenspiel.

Dank des neuen Anime-Styles wirken die Charaktere in den Zwischensequenzen zudem endlich ausdrucksstark — die emotionslosen Gesichter aus Xenoblade X sind Geschichte.

Fazit — Xenoblade Chronicles 2

Hat man sich einmal durch das überladende, teilweise schlecht erklärte Gebüsch an Spielmechaniken gekämpft und alle Elemente verinnerlicht, belohnt einem das Team von Monolithsoft einmal mehr mit einem Rollenspiel, das im japanischen Kosmos seinesgleichen sucht. Eine wundervoll inszenierte Welt, ein toller Soundtrack und eine nette Story mit sympathischen Charakteren lassen Unzulänglichkeiten schnell vergessen werden.

Den Vergleich zu seinem Vorgänger kann Xenoblade Chronicles 2 jedoch leider nicht ganz standhalten: Wirkte Xenoblade im Jahre 2011 noch zukunftsgewandt und in seinem Genre fast schon revolutionär, verbessert Xenoblade 2 dieses Fundament nur in Nuancen. Mehr als ein halbes Jahrzehnt später, wirkt das allerdings nicht mehr ganz so frisch. Das volle Potential bleibt einmal mehr unausgeschöpft. Macht aber nichts: Xenoblade Chronicles 2 ist und bleibt ein ganz wundervolles JRPG.

Bildquelle: Nintendo