Eine „leichtfüßigere“ Kampagne hatte Entwickler Machine Games für Wolfenstein: Youngblood versprochen. Übersetzt bedeutet dieser PR-Sprech: Die Story ist absolut nicht relevant, das Gameplay steht im Vordergrund. Dabei haben sich die beiden ersten Wolfensteins der Schweden doch gerade durch ihre guten Geschichten ausgezeichnet. Tja, schade nur, dass es dem Koop-lastigen Spin-off nicht gelingt, die fehlende inhaltliche Tiefe mit spielerischen Qualitäten aufzuwiegen.
Mehr Protagonisten, weniger Story
Zu aller erst sei klargestellt: Wolfenstein: Youngblood ist nicht Wolfenstein 3 und soll auch keinen Ersatz dafür darstellen. Auch wenn der zweite Teil der Reihe finanziell nicht der Erfolg geworden ist, den sich vor allem Publisher Bethesda gewünscht hat, scheint ein dritter beschlossene Sache zu sein. Youngblood hingegen fungiert wie Wolfenstein: The Old Blood als eine Art Zwischenkapitel, um die Wartezeit aufs nächste große Abenteuer mit B.J. Blazkowicz zu verkürzen. Doch während letzteres Spiel eigentlich nur ein Standalone-Add-on für The New Order ist, ist der jüngste Ableger der Serie ein eigenständiges Spiel, das sich aber trotzdem mit 30 Euro für die normale Version nur im mittleren Preissegment einordnet.
Wolfenstein: Youngblood spielt in den Achtzigern. Das bringt nicht nur Synthwave-Musik mit sich, sondern auch die beiden neuen Hauptfiguren Jess und Soph. Die sind Schwestern, genau genommen Zwillinge, sowie die Töchter von B.J. und Anya Blazkowicz. Die Widerstandskämpfer haben die beiden ihr Leben lang darauf hin trainiert, gegen das Regime zu kämpfen. Und, wie könnt es auch anders sein, in Wolfenstein: Youngblood passiert genau das. Jess und Soph reisen nach Neu-Paris, das im Gegensatz zum Großteil der Welt noch von den Nazis besetzt ist, und treten den Faschisten so richtig in die...na, ihr wisst schon. Der Grund für ihren Aufenthalt im Land des Baguettes: Ihr Vater ist verschwunden und in Paris hoffen die beiden Schwestern, ihn zu finden. Dazu schließen sie sich dem örtlichen Widerstand an, der von den Katakomben aus seine Operationen plant.
Viel mehr gibt es zur Geschichte von Wolfenstein: Youngblood nicht zu sagen. Während das Spiel euch in den ersten ein bis zwei Stunden noch ziemlich ausführliche und gutgemachte Zwischensequenzen präsentiert und damit an das erinnert, was Machine Games bei Wolfenstein: The New Order und The New Colossus so hervorragend gemacht hat, wird das Storytelling danach ganz stark heruntergefahren. Sobald ihr das erste Mal im unterirdischen Hauptquartier des Widerstands ankommt, öffnet sich einerseits das Spiel, andererseits stoppt die Erzählung. Die nächsten richtigen Story-Missionen gibt es erst wieder zum Finale. Bis dahin verbringt ihr die Zeit mit ziemlich lahmen Nebenmissionen. Von denen gibt es ganz schön viele und wer alles machen möchte, ist mit Youngblood sicherlich länger beschäftigt als mit einem der Hauptteile der Reihe. Aber Umfang ist bekanntlich nicht alles.
Da fehlt doch was
Das Problem von Wolfenstein: Youngblood wird schnell ersichtlich. Statt einem Spiel mit Story-Fokus will es ein launiger Koop-Shooter sein, der mit diversen freischaltbaren Upgrades für die Waffen und den eigenen Charakter (ihr entscheidet euch zu Beginn für eine der beiden Schwestern, die Wahl macht spielerisch aber kaum einen Unterschied) Langzeitmotivation schaffen möchte. Es fühlt sich so an, als habe Machine Games einen Loot-Shooter bauen wollen, bloß fehlt dem Titel dafür eine entscheidende Sache: der Loot. Ihr sammelt einzig und allein Münzen auf, die ihr in Waffenverbesserungen oder Skins investiert. Das ist längst nicht so motivierend wie der Fund einer legendären oder gar exotischen Waffe in einem Destiny 2 oder The Division 2.
Nun mögen die genannten Titel sicherlich nicht nur deshalb Spaß machen, weil sie euch mit der Loot-Spirale anfixen und fest in ihrem Griff halten. Sowohl Bungie als auch Massive Entertainment ist es gelungen, eine sehr spaßige Gameplay-Erfahrung zu kreieren. Destiny 2 hat ein fantastisches Gunplay und The Division 2 ist der Loot-Shooter mit der cleversten Gegner-KI (nicht weltbewegend schlau, aber so weit fordernd, dass die Kämpfe wirklich packend sein können). Wolfenstein: Youngblood kann in beiden Disziplinen nicht mit der Konkurrenz mithalten. Ja, das reine Ballern macht Spaß. Das Treffer-Feedback ist vor allem dank der Splatter-Effekte ordentlich, die Steuerung flutscht so gut wie in den anderen Wolfenstein-Teilen. An die Brillanz von Destiny oder Doom kommt es nicht heran.
Und dann wäre da die KI, die dieser Bezeichnung eigentlich gar nicht würdig ist. Wie man zwei junge Damen in die Mangel nimmt, denen man zahlenmäßig klar überlegen ist, scheint nicht zur Ausbildung auf den Militärakademien des Regimes zu zählen. Taktisches Umkreisen oder ähnliche Dinge kennen die Polygon-Nazis nicht, sie sind eher fürs stumpfe „Ich renn' mal auf den Gegner zu und schieß' in seine Richtung“. Und davon, sich im Gefecht eine Deckung zu suchen, haben die wohl auch noch nie was gehört.
Nazis mit zu viel Metall
Wolfenstein: Youngblood ist also letztendlich eine große, plumpe Schießbude. Ihr könnt zwar auch schleichen und verfügt dank High-Tech-Kampfanzug über eine Tarnfähigkeit, doch außer dem leisen Anpirschen an Gegner, um ihnen von hinten das Messer in die Kehle zu rammen, habt ihr keine weiteren Stealth-Optionen. Und wenn euch einmal ein Feind entdeckt, habt ihr in aller Regel die gesamte Truppe am Hals.
Gut, dass ein stumpfer Shooter reichlich Spaß machen kann, wissen wir nicht zuletzt dank Doom zur Genüge. Dass Wolfenstein: Youngblood aber auch viele Gegner auf euch hetzt, die stark gepanzert sind und damit in die Kategorie „Bullet Sponge“ fallen, wirkt dahingehend nicht gerade unterstützend. Dass es solche Widersacher in Loot-Shootern hin und wieder geben muss, damit ihr auch wirklich den Unterschied zwischen einer gewöhnlichen und einer seltenen Waffe spürt, ist ok. Aber in Wolfenstein: Youngblood wirken sie zumindest in dieser großen Masse (es ist ja nicht so, als hätte es sie in den Vorgängern gar nicht gegeben) fehl am Platz.
Eine Prise Dishonored, die nicht ausreicht
Dass die KI so dumm und die Schleichmechanik so unterentwickelt sind, konterkariert übrigens die eine Stärke, die Wolfenstein: Youngblood den anderen Serienteilen eigentlich voraus hat: sein Leveldesign. Die einzelnen, voneinander getrennten Gebiete des alternativen Paris' der Achtziger, die ihr allesamt im Spielverlauf mehrfach besucht, sind sehr viel weitläufiger und vor allem vertikaler als die Umgebungen in The New Order und The New Colossus. Es gibt viele Seitenpfade und dank Doppelsprungfunktion eures Anzugs gelangt ihr leicht an höher gelegene Stellen, entdeckt so vielleicht so manchen Weg, den ihr auf den ersten Blick gar nicht gesehen habt.
Es wird schnell deutlich, dass Machine Games hier von Arkane Studios, den Dishonored- und Prey-Machern, Unterstützung erhalten hat. Das offene Leveldesign gefällt uns an sich richtig gut, das Spiel macht bloß zu wenig daraus. In Dishonored habt ihr dank der vielen Fähigkeiten und Gadgets jede Menge Möglichkeiten, wie ihr eure Ziele erreicht. In Wolfenstein: Youngblood gibt es eben nur zwei Lösungen: Ballern oder sich an jeden Gegner anschleichen und ihn per Messer ins Reich der Toten schicken. Und erstere Methode macht zudem auch noch deutlich mehr Spaß. Immerhin: Das Erkunden der Areale lohnt sich spielerisch durchaus, da ihr eben häufig Münzen, größere Munitionsvorräte oder nette Sammelgegenstände wie Dokumente, Videokassettenhüllen oder Tonaufnahmen findet, die immer wieder für einen Lacher gut sind. Aber für den Kern-Gameplay-Loop ist es eigentlich egal, wie groß die Levels sind.
Blöderweise leistet sich Wolfenstein: Youngblood darüber hinaus zwei Patzer, die auf dem Papier recht kleine Makel zu sein scheinen, uns beim Spielen aber extremst genervt haben. Nummer 1: Es gibt keinen Kartenbildschirm. Das Spiel bietet zwar eine Minimap, aber nirgends könnt ihr euch einen Gesamtüberblick über ein Gebiet verschaffen. Es wirkt so, als hätte Machine Games das schlichtweg vergessen. Denn eine logische Begründung dafür, auf eine Map im Großformat zu verzichten, fällt uns nicht ein. Nummer 2: Gegner respawnen. Klar, wenn wir mehrfach dieselben Gebiete aufsuchen, wäre es blöd, wenn beim zweiten Besuch gar keine Feinde mehr vor Ort wären. Aber wenn uns eine Mission in ein Krankenhaus schickt, wir in dessen Erdgeschoss alles und jeden zu Hackfleisch verarbeiten, das gleiche nochmal im ersten Stock wiederholen und dann im Parterre direkt auf die gleichen Feinde stoßen, die wir wenige Minuten zuvor schon einmal ins Jenseits verfrachtet haben, ist das einfach nur schlechtes Spieldesign.
Koop macht alles besser, aber nicht zwingend richtig gut
Nun haben wir sehr viel Kritik geäußert und es könnte bei euch der Eindruck entstehen, wir hätten so gut wie gar keinen Spaß mit Wolfenstein: Youngblood gehabt. Das würde aber nicht der Wahrheit entsprechen, denn im Koop ist es ein durchaus launiger, kurzweiliger Shooter für zwischendurch. Gemeinsam mit einem Kumpel per Sprach-Chat zu kommunizieren und währenddessen Nazihorden abzuschlachten, ist durchaus nett, aber halt leider auch nicht mehr. Machine Games hat aus dem Koop-Aspekt viel zu wenig gemacht. Bis darauf, dass ihr manche Türen nur zu zweit öffnen und euch per Emotes gegenseitig Rüstung oder Lebensenergie verleihen könnt, ist Wolfenstein: Youngblood ein Spiel, in dem ihr halt zu zweit auf dieselben Gegner schießt, aber nicht wirklich Teamwork anwenden müsst. Hier verschenkt Machine Games enormes Potenzial. Was wäre zum Beispiel gewesen, wenn sich Jess und Soph spielerisch wirklich voneinander unterscheiden würden? Wenn die eine der widerstandsfähige Tank wäre und die andere die Stealth-affine Scharfschützin?
Letztendlich hat man es sich einfach gemacht. Bei zwei identischen Charakteren ist es eben leichter, ein Koop-Spiel so zu designen und auszubalancieren, dass auch Solospieler gut durch die Levels kommen. Ja, Wolfenstein: Youngblood ist ohne menschlichen Kameraden von Anfang bis Ende spielbar. Aber macht es Spaß? Nicht so wirklich. Das liegt nicht einmal daran, dass in dem Fall die andere Schwester von einer nicht viel schlaueren KI gesteuert wird als die ganzen Feinde – wobei es schon sehr ärgerlich ist, wenn ihr halbtot am Boden liegt und euer virtueller Zwilling einen Aussetzer hat und euch schlicht nicht wiederbeleben möchte. Nein, da wiegen die genannten Designmacken des Spiels viel mehr. Mit einem Freund an der Seite sind die eben besser zu ertragen als alleine.
Immerhin: Auf technischer Ebene lässt sich Wolfenstein: Youngblood nicht viel vorwerfen. Das Spiel sieht im Wesentlichen so aus wie Wolfenstein 2. Es haut niemanden grafisch von den Socken, die id Tech 6 zaubert aber ansehnliche Umgebungen mit ordentlicher Texturqualität und guten Effekten auf den Bildschirm. Charaktere sind flüssig animiert und die Performance auf unserem Testrechner (i7 7700K, GTX 1070, 16 GB RAM) bei maximalen Details lässt keine Wünsche offen. Auf akustischer Ebene sind wir ebenso glücklich. Wir haben die deutsche Version gespielt, die nur die deutsche Sprachausgabe bietet. Die ist wie bei den Vorgängern sehr gut gelungen. Auch die knackigen Soundeffekte, speziell die Waffengeräusche, und die Musik hinterlassen einen vortrefflichen Eindruck.
Wolfenstein: Youngblood - Fazit
Ihr habt keinen Kumpel hat, mit dem ihr Wolfenstein: Youngblood spielen könntet, selbst wenn ihr die Deluxe Edition mit dem Body Pass erwerben würdet (der es einem Freund ermöglicht, das Spiel mit euch gemeinsam zu zocken, ohne dass er es kaufen muss)? Auf Koop mit Fremden habt ihr keine Lust? Dann lasst besser die Finger von dem Shooter! Alleine macht Youngblood kaum Freude, weil all die Stärken der Vorgänger hier wenig zum Tragen kommen, gewisse Designentscheidungen keine schmackhaften Früchte tragen und somit am Ende nur eine mittelmäßige Ballerorgie bleibt.
Im Multiplayer macht die in kleinen Portionen dank des ordentlichen Gunplays durchaus Laune. Aufgrund der kaum vorhandenen Geschichte und der Fülle an lahmen Nebenmissionen (die ihr nicht komplett ignorieren könnt, weil ihr für spätere Hauptmissionen leveln müsst) wird Wolfenstein: Youngblood aber recht schnell recht monoton. Es ist halt am Ende das, was wir schon in der Überschrift erwähnt haben: ein Loot-Shooter ohne Loot. Und jetzt stellt euch mal Destiny 2 ohne Loot-System vor. Das wäre dann auch nur ein halb so gutes Spiel, das aber immer noch ein besseres Gameplay als Youngblood hätte. Und das sagt wohl alles aus.
Wolfenstein: Youngblood ist für PC, PlayStation 4, Xbox One und Nintendo Switch erschienen. Zum Test lag uns die deutsche PC-Fassung vor.
Bildquelle: Bethesda Softworks