Nachdem mich sowohl „Life is Strange“, als auch das Prequel „Before the Storm“, emotional zutiefst berührt und teils sogar zu Tränen gerührt haben, war die Freude auf Life is Strange 2 erwartungsgemäß hoch. Zum ersten Mal, abseits des kostenlosen „Captain Spirit“, mit männlichen Protagonisten, soll es die Geschichte zweier Brüder erzählen, die sich allein durchs Land schlagen müssen. Ob meine Vorfreude in der nun erschienenen Episode 1 mit einem positiven Eindruck belohnt wurde, oder nicht, erfahrt ihr im Folgenden.
Der Anfang einer großen Reise
Anstelle in die Rolle der Protagonistinnen Max und Cloe aus den Vorgängern zu schlüpfen, übernehmt ihr in Life is Strange 2 die Kontrolle über den Teenager Sean Diaz. Dieser lebt mit seinem Vater und seinem kleinen Bruder Daniel in einem kleinen Haus in Seattle und bereitet sich darauf vor, auf eine Party zu gehen und dort endlich seinen großen Schwarm anzusprechen.
So normal wie das klingt, läuft der Life is Strange 2 zu Beginn auch ab. Es werden Snacks und Geld für die Party besorgt, der nervige kleine Bruder verscheucht, während vorsichtshalber Kondome eingepackt werden und ein letzter Kriegsrat mit der besten Freundin über Skype abgehalten.
Doch erstens kommt es immer anders und zweitens als man denkt. So gerät Daniel, der dabei ist, sein Zombiekostüm für Halloween mit selbst angerührtem Kunstblut zu perfektionieren, versehentlich mit dem Nachbarsjungen aneinander. Dieser kann Sean und Daniel sowieso nicht ausstehen, weil er anscheinend ein grundsätzliches Problem mit Menschen mexikanischer Abstammung hat, wie es die Familie Diaz ist. Doch dazu später mehr.
Als großer Bruder eilt Sean natürlich zur Hilfe, wobei die Situation eskaliert und in Daniel Kräfte erwachen. Anders als Max, deren Zeitreisefähigkeiten essentielles Spielelement in „Life is Strange“ waren, besitzt Daniel anscheinend telekinetische Fähigkeiten.
Durch das Erwachen dieser Kräfte werden Ereignisse ins Rollen gebracht, die die Diaz Brüder dazu zwingen, ihre Heimat zu verlassen. Fortan müssen die beiden, auf sich allein gestellt, ihren Weg finden. Auf der Reise kämpfen sie nicht nur mit dem Hunger, sondern auch gegen den ihnen vielerorts begegnenden Rassismus.
Die Bürde des großen Bruders
Doch genug zur eigentlichen Geschichte. Ebenso wichtig ist auch, was abseits davon passiert. Anders als die Vorgänger, die die Geschichte einer wieder erstarkenden Freundschaft und die einer aufkeimenden gleichgeschlechtlichen Beziehung, geht es in Life is Strange 2 um die Beziehung zweier Brüder. Interessant ist hierbei, welch unterschiedliche Rollen beide einnehmen.
Auf der einen Seite Sean, der als großer Bruder versucht, Daniel abzulenken und dessen Unschuld zu bewahren und quasi in eine Art Vaterrolle gedrängt wird. Auf der anderen Daniel, der seinen großen Bruder zwar nervt, aber trotzdem über alles liebt und ihm nacheifert. Gerade letzteres wird im Spiel deutlich, da Daniel häufig Aktionen, die Sean durchführt wiederholt. So gibt es eine Stelle, an der ihr entscheiden müsst, ob ihr in einem Geschäft etwas stehlen wollt oder nicht. Tut ihr es, denkt Daniel das wäre in Ordnung und tut selbiges später auch.
Die Beziehung zwischen den beiden wird dabei sehr realistisch dargestellt. So kann wahrscheinlich jeder, der jüngere Geschwister hat, vollkommen nachvollziehen, wie Sean sich Daniel gegenüber verhält. Einerseits ist der coole Teenager natürlich unfassbar genervt vom kindischen Verhalten seines Bruders, würde jedoch trotzdem alles für diesen tun und ihn ohne Rücksicht auf sein eigenes Wohlergehen beschützen. Ich persönlich kann das zumindest komplett nachvollziehen.
Malerisches Abenteuer
Im Vergleich zu den Vorgängern hat sich, was das Gameplay und die Grafik angeht nicht viel getan. Immer noch lauft ihr in teils gemalt aussehenden Umgebungen umher, schaut euch diese an und lest bzw. sammelt Notizen und Gegenstände.
Anders als Max, die teilweise Dinge fotografieren konnte, ist Sean etwas praktischer veranlagt. So könnt ihr euch an manchen Stellen hinsetzen und bestimmte Dinge in eurer Umgebung zeichnen. Diese Zeichnungen könnt ihr euch später in Seans Notizbuch anschauen.
Musikalisch wird auch in Life is Strange 2 wieder voll auf Indiemusik gesetzt, was bei Fans der Vorgänger ein gewisses Gefühl des nach Hause-Kommens auslösen dürfte. Die ruhige auditive Untermalung sorgte zumindest bei mir dafür, dass ich mir gewünscht hätte, manche Szenen wären länger gewesen, damit ich der Musik weiter lauschen kann. Wie schon bei „Life is Strange“ freue ich mich auch hier sehr auf den Release des Soundtracks.
Fazit – Life is Strange 2: Episode 1
Meine eingangs erwähnte Vorfreude auf Life is Strange 2 wurde mit einem mehr als positiven Eindruck belohnt. So sehr ich Max und Cloe und die Dynamik der beiden Mädchen mochte, so sehr sind mir schon nach einer Episode Sean und Daniel ans Herz gewachsen.
Die thematische Abkehr von der Highschool, hin in eine „Into the Wild“-eske Roadtrip-Geschichte bringt viel frischen Wind. Auch, dass in Bezug auf Themen, wie den Rassismus gegenüber mexianischstämmigen Mitbürgern in den USA kein Blatt vor den Mund genommen wird und eher aktiv auf aktuelle politische Themen mit Kommentaren wie „Leute wie ihr seid der Grund dafür, dass wir diese Mauer brauchen“ hingewiesen wird, gibt dem Ganzen einen realistischeren Anstrich.
Die Tatsache, dass ihr dieses Mal nicht denjenigen mit den Fähigkeiten spielt, sondern „nur“ den Begleiter ist ebenfalls eine nette Abwechslung.
Seid ihr wie ich Fan der Vorgänger, stellt sich die Frage, ob ihr auch Life is Strange 2 spielen sollt vermutlich gar nicht. Habt ihr jedoch keinen der Vorgänger gespielt, mögt aber gut erzählte und sehr emotionale und persönliche Geschichten, kann ich euch Life is Strange 2 nur wärmstens ans Herz legen.
Ich für meinen Teil kann es kaum abwarten in Episode 2 zu erfahren, wie die Geschichte um Sean, Daniel und dessen Kräfte weiter geht.
Bildquelle(n): Square Enix