Mit Until Dawn gelang Supermassive Games vor vier Jahren fast schon eine Art Überraschungserfolg. Dass der interaktive Film eine so unterhaltsame Hommage an das Horrorkino mit viel gewolltem B-Movie-Charme werden würde, hätte vorab wohl niemand gedacht. Tja, dass der geistige Nachfolger The Dark Pictures Anthology: Man of Medan auf der völlig anderen Seite der Qualitätsskala anzutreffen sein würde, vermutlich auch nicht.

Eine Seefahrt, die ist...weder lustig noch gruselig

Es soll ein richtig toller Urlaub werden. Alex, sein Bruder Brad, Freundin Julia und deren Bruder Conrad schippern gemeinsam mit Kapitänin Félicité alias „Fliss“ über den Südpazifik. Ihr Ziel: ein Tauchgang zu einem versunkenen Flugzeugwrack aus dem Zweiten Weltkrieg. Anfangs ist auch noch alles super, bis dann eine Gruppe von Piraten auftaucht und die fünf in der Hoffnung, dass ordentlich Kohle für sie herausspringt, gefangen nimmt. Und dann landen sie auch noch auf einem Geisterschiff, einem alten Militärkahn aus den Vierzigern, auf dem ganz merkwürdige, schaurige Dinge geschehen.

Tja, zumindest hat sich Supermassive Games wohl gewünscht, dass man als Spieler The Dark Pictures Anthology: Man of Medan als gruselig empfindet. Die erste Episode jener als, wie der Name schon sagt, Anthologie angelegten Serie (jede Folge erzählt ihre eigene, abgeschlossene Geschichte) ist jedoch in etwa so unheimlich wie eine Fahrt mit der billigsten Kirmesgeisterbahn – nur mit dem Unterschied, dass zumindest die Ausstattung in Man of Medan etwas hochwertiger ausfällt. Die Technik ist zwar aufgrund diverser Ruckler – teilweise blieb das Bild sogar für ein bis zwei Sekunden stehen – und so manchem „Uncanny Valley“-Moment bei den Charaktermodellen  nicht einwandfrei, am Ende aber doch noch eine der Stärken des Spiels. Die Figuren sind detailliert und gut animiert, vor allem aber Licht- und Schatteneffekte sind auf hohem Niveau – bei ausgiebigen Spaziergängen durch die dunklen Flure eines alten Schiffes sicherlich nicht ganz unwichtig. Auch akustisch ist der Titel vollkommen solide. Das gilt sowohl für den stimmungsvollen Soundtrack als auch die deutschen Synchronsprecher, die keine herausragende Arbeit leisten, aber besser sind als die Vertonung in so manch anderem aktuellen Spiel (ja, wir meinen dich, Control!).

Wenn wir dann aber über den Gruselfaktor sprechen, versagt The Dark Pictures Anthology: Man of Medan auf ganzer Linie. Den Entwicklern ist nichts Besseres eingefallen, als ständig entweder die „Hast du das auch gesehen? Da hat sich doch was bewegt“-Karte zu zücken oder euch einen billigen Jumpscare nach dem anderen vor den Latz zu knallen. Da die stets vorhersehbar sind, haben wir uns nie erschreckt, was umso mehr dafür gesorgt hat, dass sie uns schnell auf die Nerven gingen.

Spannung gesucht

Wenn schon der Grusel fehlt, muss erst recht die Story dafür sorgen, dass der Karren gar nicht erst in den Dreck hineinfährt. Blöderweise düst The Dark Pictures Anthology: Man of Medan gezielt ins Schlammloch hinein. Die Geschichte ist in etwa so spannend wie Wandfarbe beim Trocken zuzuschauen. Dabei fängt alles gar nicht mal so schlecht an. Im Prolog erlebt ihr, wie in den Vierzigern auf dem Militärschiff die Hölle ausbricht. Dieser Einstieg ist sehr atmosphärisch und gut inszeniert. Man möchte schon wissen, warum die Soldaten sich teilweise gegenseitig umgebracht haben und was es mit den übernatürlichen Dingen auf sich hat, die man hier präsentiert bekommt. Dass Man of Medan danach das Tempo erst mal herunterfährt, um die Hauptcharaktere vorzustellen, ist auch in Ordnung. Dabei sollte jedoch gesagt sein, dass die Figuren allesamt sehr blass sind. Dem Spiel gelingt es nicht, dass bei uns für irgendeinen von ihnen Sympathien entstehen, sie sind uns allesamt vollkommen egal.

Irgendwann kommen dann zum Glück die Piraten ins Spiel, die Spannungskurve steigt an. Doch sobald die Schurken unsere „Heldentruppe“ dazu zwingen, das Geisterschiff zu betreten, geht es komplett bergab. Das liegt am missratenen Pacing: Viel zu viel Zeit verbringt ihr in Man of Medan damit, durch die dunklen Schiffsgänge zu laufen, irgendwelche uninteressanten Aufzeichnungen der Crew zu lesen, und ab und zu eben auf einen der besagten Jumpscare-Momente zu stoßen. Eine wirkliche Weiterentwicklung der Geschichte findet so gut wie gar nicht statt und die actionreichen Momente, die durchaus ordentlich in Szene gesetzt sind, können die restlichen langweiligen Passagen nicht aufwiegen. Ach ja, richtig aufgelöst wird das Mysterium um das Schiff letztendlich auch nicht. Das Ende wirkte sogar in den beiden Durchgängen, die wir gespielt haben, sehr abrupt und war dadurch höchst unbefriedigend.

Ein weiteres Problem sind die vielen Logik- und Anschlussfehler. Da weint zum Beispiel im einen Moment ein Charakter, weil kurz zuvor ein anderer gestorben ist, und vom einen auf den anderen Moment ist er schon wieder komplett gefasst und fragt, was eigentlich mit der Besatzung des Schiffes passiert sein könnte. Da wird deutlich, dass das Konstrukt der nichtlinearen Erzählung, aus der The Dark Pictures Anthology: Man of Medan wie eigentlich alle anderen Genrevertreter auch seinen Hauptreiz ziehen will, sehr hastig zusammengekleistert worden sein muss beziehungsweise das Budget gefehlt hat, das Ganze besser und stimmiger umzusetzen. Die Logiklücken in der Geschichte, die durch die Entscheidungen, die ihr trefft, entstehen können, setzen dem die Krone auf. Hier können wir nicht ins Detail gehen, ohne zu spoilern, aber lasst uns gesagt sein: Diese Macken sind so auffällig wie ein Elefant in der Berliner U-Bahn.

Entscheidungen, die einen kaltlassen

Erschwerend kommt hinzu, dass die Entscheidungsfreiheit, die ihr in Man of Medan genießt, diesen hohen Preis nicht wert ist. Wenn einem die Charaktere völlig egal sind, dann spielt es auch kaum eine Rolle, ob sie nun draufgehen oder nicht. Dementsprechend gibt es auch keine Entscheidungen im Spiel, die uns wirklich schwergefallen sind. Nie mussten wir überlegen, was wir denn tun sollen, sondern wählten einfach das, was uns in der Situation logisch erschien. Zu keinem Zeitpunkt waren wir emotional gepackt, dabei soll es doch eigentlich genau das sein, was ein Spiel dieser Art erreichen sollte.

Dass The Dark Pictures Anthology: Man of Medan spielerisch abseits der Entscheidungen nicht viel zu bieten hat, dürfte jedem klar sein, der Until Dawn oder jemals ein Spiel von Quantic Dream (Detroit: Become Human, Heavy Rain) gespielt hat. Hier und da eine Quicktime-Sequenz und eben viel herumlaufen durch lineare Abschnitte, in denen ihr mit einigen Hotspots interagieren könnt, das war es auch schon. Dieses magere Gameplay wollen wir Man of Medan nicht zum Vorwurf machen, so sind diese Spiele nun mal. Aber wenn das nicht durch eine spannende Geschichte und ein gut konstruiertes Geflecht aus möglichen Handlungsverläufen ausgeglichen wird, ist die fehlende spielerische Tiefe eben keine große Hilfe.

Eine Sache hat Supermassive Games dann aber doch wirklich gut hinbekommen: Der Online-Koop-Modus funktioniert für sich genommen richtig gut. Hier spielt ihr zu zweit die Geschichte durch. Dabei seht ihr beide nicht immer dieselbe Szene. Oftmals seid ihr mit Charakter A an Ort A unterwegs, während euer Mitspieler etwas ganz anderes erlebt. Und dann gibt es wiederum Momente, wo ihr dieselbe Szene spielt, das aber gar nicht wisst. Mehr verraten wir dazu nicht, denn das ist wirklich einer der wenigen richtig lichten Augenblicke in Man of Medan. Wenn ihr den Titel noch spielen wollt, solltet ihr das definitiv im Koop-Modus tun. Das verbessert das Spielerlebnis deutlich gegenüber dem Singleplayer. An der schwachen Geschichte und den Logik- sowie Anschlussfehlern ändert es natürlich nichts. Aber zumindest geht das Konzept des Koop-Modus' auf, sodass wir uns so etwas in Zukunft öfter wünschen, dann aber für bessere Spiele.

The Dark Pictures Anthology: Man of Medan – Fazit

Dass wir von Man of Medan alles andere als angetan sind, dürfte in diesem Artikel deutlich geworden sein. Uns ist es unverständlich, wie Supermassive Games nach dem wirklich tollen Until Dawn so tief fallen konnte. Sicherlich hat es was damit zu tun, dass dem Team ein geringeres Budget zur Verfügung stand. Aber das erklärt nicht die langweilige Story, zumal dieselben Autoren am Werk waren wie beim geistigen Vorgänger. Ja, Man of Medan kostet nur 30 Euro, aber selbst die ist es einfach nicht wert. Spielt lieber nochmal Until Dawn durch oder holt irgendwas aus dem Portfolio von Telltale nach, was ihr noch nicht gespielt habt (wenn es denn noch erhältlich ist)! Damit seid ihr wesentlich besser bedient.

The Dark Pictures Anthology: Man of Medan ist für PC, PlayStation 4 und Xbox One erschienen.

Bildquelle: ©Bandai Namco