Jahrelang lagen Tales-Fans Bandai Namco in den Ohren: “Bitte, bitte bringt die PS3-Version von Tales of Vesperia in den Westen!” Als vor einigen Jahren der europäische Twitter-Account des Publishers fragte, welche Spiele man sich lokalisiert wünsche, ließ man sich bei der Nennung von Vesperia daher halb scherzend, halb genervt zu dem schnippischen Kommentar verleiten: “Yeah, not that one”. Wunder geschehen aber immer wieder und so feiert man das 10-jährige Jubiläum mit Tales of Vesperia: Definitive Edition für PlayStation 4, Xbox One, Nintendo Switch und PC.
Damit stellt sich die Frage: Hat das Japano-Rollenspiel erfolgreich dem Zahn der Zeit getrotzt? Nachdem vergangene Tales-Episoden Fans zwiespältig zurückließen, wird Vesperia schließlich allzu gerne auf ein schillerndes Podest gestellt: Als das vielleicht beste und letzte wahrlich großartige Tales-Abenteuer. Nostalgische Verklärung oder ist da tatsächlich etwas dran?
Charaktere zum Pferdestehlen
In der Welt von Vesperia liegt eine Substanz namens Aer in der Luft, welche durch spezielle Maschinen - Blastia genannt - gebündelt wird. Ein solches Blastia stellt die Wasserversorgung des Armenviertels der könglichen Hauptstadt Zaphias dar. Als es gestohlen wird, nimmt Yuri Lowell es in die Hand, den Dieb zu stellen - wohlwissend, dass das Imperium sich um die Belange des normalen Volks ohnehin nicht kümmert. Hier wird er nicht nur Opfer eines Komplotts, sondern trifft auch auf Prinzessin Estelle, die ihn darum bittet, sie in die Außenwelt zu geleiten. Serientypisch präsentiert Tales of Vesperia eine fein dargebotene Abenteuer-Story im Shonen-Manga-Stil, die zwar nicht mit Klischees geizt, aber trotzdem gut zu unterhalten weiß. Auch wenn der Plot leider etwas auseinanderfällt, sobald es im letzten Akt obligatorisch um nichts Geringeres als die Rettung der Welt geht.
Das Herzstück - auch das ist Tales-typisch - stellt jedoch das Aufgebot an sympathischen Charakteren dar. Protagonist Yuri sticht hierbei besonders hervor. Er ist weit entfernt vom Genre-typischen naiven Jüngling in schimmernder Rüstung, der sich mit an Dummheit grenzendem Idealismus für die Welt aufgibt. Stattdessen gibt sich Yuri sarkastisch, desillusioniert und fast schon verbittert. Getrieben vom Wunsch, den Menschen der Unterstadt zu helfen, begann er eine Ausbildung zum Ritter - nur um desillusioniert festzustellen, dass das System zu korrupt ist, um es als simple Schachfigur von innen zu ändern. Geleitet von einem starken moralischen Kompass, setzt er sich nun für die Rechte der Armen ein - ohne dabei jedoch darum verlegen zu sein, Gesetze zu biegen und brechen. Damit entsteht ein interessantes Spannungsverhältnis zu seinem Kindheitsfreund Flynn, welcher tatsächlich dem Bild des Ritters in schimmernder Rüstung entspricht: Er teilt die Ideale Yuris, wählte aber den Weg der Rechtschaffenheit und behält den Glauben bei, dass er im Dienst des Imperiums die Chance erhält, das System von innen zu erneuern.
An Yuris Seite steht nicht nur sein treuer Hund Repede (ein Pfeife rauchender Hund, wer kann ihn nicht lieben?), sondern auch die wohlbehütete Prinzessin Estelle, die mit Hilfe des Protagonisten aus dem Schloss flieht und erstmals die Außenwelt sieht. Ihr weltfremdes Auftreten lässt sie zwar etwas naiv erscheinen, doch glücklicherweise wirkt sie dabei anders als beispielweise "Tales of Symphonia"-Kollegin Colette nicht dumm und tollpatschig. Auch der Rest der Party, wie etwa die vorlaute Magierin Rita oder der überraschend nicht nervige Kindercharakter Karol, wachsen ans Herz.
Klassische Tugenden
Schon damals wagte Tales of Vesperia keine Experimente. Das dritte Spiel des Team Symphonias baute stattdessen auf das Fundament auf, welches zuvor von Tales of Symphonia und Tales of the Abyss gelegt wurde. Genau das ist auch das Erfolgsrezept, das es bis heute spielenswert macht: Es verfeinert, statt sich in neuen Ideen zu verfangen. Malerische Städte, schlauchige Dungeons mit dem ein oder anderen Rätsel und Abzweigungen sowie eine klassische Oberwelt, die die Illusion einer Open World erzeugt, ohne in deren typische Fallen zu tappen. Das nachfolgende Tales of Xillia verlief sich, in dem es die bekannte Oberwelt durch karge Verbindungsareale ersetzte, die mit gähnender Leere langweilten. Tales of Zestiria versuchte anschließend gar, dass bewährte Kampfsystem aus seiner Kampfarena zu befreien, nur um damit eklatante Kameraprobleme zu erzeugen. Von derlei Modernisierungsansätzen bleibt Tales of Vesperia verschont und setzt stattdessen auf klassische Tugenden. Das ist nicht modern, aber es funktioniert. Wo jüngere Tales-Ableger oft in einem Aspekt glänzen, aber dafür in anderen abfallen, ist Tales of Vesperia schlicht und ergreifend ein stets in sich stimmiges und rundes Gesamtpaket.
Treffen wir auf ein Monster, schaltet das Geschehen in eine Kampfarena um, in der wir uns Tales-typisch in Echtzeit bekriegen. Hierbei übernehmen wir die direkte Kontrolle über ein Mitglied unserer Party, während der Rest von der CPU gesteuert und ab und zu mit Befehlen von uns in die richtige Richtung gelenkt wird. Wer seine Rollenspiele nicht allein durchlebt, kann auch mit bis zu drei Mitspielern in die Schlacht ziehen - auf der Oberwelt werden Spieler 2 bis 4 allerdings zum Zuschauen degradiert. Standardmäßig übernehmt ihr die Rolle von Yuri, solltet jedoch nicht schüchtern sein und auch die anderen Charaktere ausprobieren. Besonders die vorlaute Magierin Rita verkommt mit dem passenden Equipment zur wahren Killermaschine. Wenn ihr neuere Tales-Episoden euer Eigen nennt, könnte die wohlige Nostalgie in den Kämpfen jedoch von einer Erkenntnis getrübt werden: Im Vergleich zu den butterweichen Kämpfen eines Tales of Berseria spielt sich Vesperia deutlich langsamer und schwerfälliger. Das ist vor allem dem TP-System geschuldet: Reiht ihr in modernen Tales-Episoden einen Arte genannten Spezialangriff nach dem anderen aneinander, kostet hier jeder davon wertvolle TP. Das macht die Kämpfe langsamer, die Kombos weniger spektakulär.
Wo "definitiv" drauf steht, muss auch "definitiv" drin sein
Kamen Amerikaner und Europäer anno dazumal nur in den Genuss der Xbox-360-Originalversion von Tales of Vesperia, enthält das Remaster auch die Zusatzinhalte der Japan-exklusiven PS3-Fassung des Rollenspiels. Und die sind umfassender als gedacht: Der idealistische Ritter Flynn spielte bereits in der Urfassung eine wichtige Rolle, in der neuen Version stößt er als spielbarer Charakter zur Party hinzu. Mit Patty, einem jungen Piratenmädchen, das es faustdick hinter den Ohren hat, wurde dem Spiel außerdem eine brandneue Heldin hinzugefügt, die im Verlauf des Abenteuers eine überraschend große Rolle spielt und nahtlos ins Geschehen integriert wurde. Zusätzlich gibt es neue Artes und Mystic Artes, Bonus-Dungeons, Kostüme, zusätzliche Skits, neue Bosse und viele weitere Feinheiten, die das Spiel nicht signifikant, aber sinnvoll erweitern.
Waren in der 360-Version bereits große Teile des Spiels synchronisiert, wurden für Tales of Vesperia: Definitive Edition nicht nur die neuen Szenen und Skits zusätzlich vertont, sondern auch einige alte Dialoge, die anno dazumal reine Textwüsten waren. Das ist jedoch ein zweischneidiges Schwert: Bandai Namco gelang es nicht, die gesamte englische Sprecherriege ein weiteres Mal zu versammeln. Besonders tragisch ist das bei Protagonist Yuri Lowell, der in der Originalversion im Englischen geradezu fantastisch von Troy Baker gesprochen wird. War der 2008 noch ein vergleichsweise unbeschriebenes Blatt, gehört er spätestens seit seiner Performance als Joel in The Last of Us zu den Superstars seines Metiers. Superstars sind teuer, dachte man sich wohl bei Bandai Namco, und ließ die neuen Lines daher von einem anderen Sprecher einlesen. Der schafft es leider nicht, Bakers Yuri überzeugend zu imitieren - und da die Sprecher gerne mal mitten im Dialog wechseln, hat das einen ganz schön irritierenden Effekt.
Dies lässt sich zwar umgehen, indem ihr auf die neu zur Verfügung stehende japanische Originalvertonung umschaltet. Da die englische Synchro von Vesperia damals wie heute unheimlich gut gelungen ist, ist das aber ein ärgerlicher Wermutstropfen. Frustrierende Anekdote: Troy Baker verriet auf Twitter, dass er liebend gerne ein weiteres Mal in Yuris Schuhe geschlüpft wäre, aber nie auch nur angefragt wurde.
Auch technisch überzeugend?
Zum Testen lag uns die Switch-Version von Tales of Vesperia: Definitive Edition vor. Bandai Namco versprach für die Umsetzung für Nintendos Hybrid-Hardware Full-HD-Auflösung im TV-Betrieb und 720p im Handheld-Modus. Dabei sollen in den flotten Kämpfen 60 FPS gehalten werden, außerhalb hingegen nur 30 Bilder die Sekunde. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit: Tatsächlich besitzt Vesperia auf der Switch eine unlimiterte Bildrate. Das heißt, statt in Städten und Dungeons auf 30 Bilder begrenzt zu sein, schwankt sie umher. Meist werden dabei zwar tatsächlich deutlich mehr als 30 Bilder die Sekunde erreicht, Technikenthusiasten wissen aber: Wichtiger als die Anzahl an Frames ist tatsächlich die Kontinuität. Die ist hier leider oft nicht gegeben. Wenn die Framerate innerhalb einer Szene zwischen 30 und 60 Bildern die Sekunde hin- und herschwankt, ergibt das leider ein etwas unruhiges, manchmal stotterndes Gesamtbild. Im Handheld-Betrieb stört zudem sichtbares Aliasing der Charaktere den Gesamteindruck. Von diesen technischen Ungereimtheiten solltet ihr euch allerdings nicht beirren lassen: Die schicke Cel-Shading-Grafik weiß mit ihrem gelungenen Art-Design und ausdrucksstarken Animationen auch heute noch zu gefallen.
Tales of Vesperia: Definitive Edition - Fazit
Tales of Vesperia: Definitive Edition bietet das, was die meisten neueren Tales-Ableger vermissen lassen: ein rundum rundes Gesamtpaket. Bereits zu seinem ursprünglichen Erscheinen setzte es lieber auf klassische Tugenden denn auf große Innovationen. Verhaspelte sich etwa Tales of Zestiria bei dem Versuch, der Reihe einen Frischzellenkur zu unterziehen, konzentrierten die Entwickler sich hier ganz und gar auf ihre Stärken: eine unterhaltsame Story mit tollen Charakteren, einer Welt, in der man sich verlieren kann, einem flotten Kampfsystem und Gameplay das ohne großen Schnickschnack Spaß macht. Braucht es wirklich mehr als das?
Bildquelle: Namco Bandai