Mit einem großen Add-on will Bungie seinen Loot-Shooter auf die Erfolgsspur zurückführen. Eine neue Kampagne, frische Feinde, bislang unbekannte Gebiete und ein neuartiger Modus, der PvE und PvP vermischt, sollen die Spieler zurück auf die Server locken. Ob Destiny 2: Forsaken als Rettungsanker funktioniert, habe ich mir ganz genau angeschaut.
Ein groß angelegter Rettungsversuch
Tiefer Matsch ist für einen Karren ganz schön schlecht. Wenn er einmal in der braunen Pampe drinsteckt, ist es schwer, ihn da wieder herauszubekommen. Da ist schon reichlich Kraft und Anstrengung nötig, damit der Wagen wieder zurück auf den festen Pfad gelangt. Diese Situation passt wunderbar als Bildnis für Bungie und Destiny 2. In diesem Fall ist besagter Ego-Shooter der Karren und der Matsch ist das Meer aus Fehlern, die der ehemalige "Halo"-Entwickler begangen hat. Nicht falsch verstehen: Destiny 2 ist in seiner Grundversion beileibe kein schlechtes Spiel gewesen. Es war sogar deutlich besser als der Vorgänger ohne Erweiterungen.
Aber nachdem die Community die Kampagne durchgezockt, alle Strikes gesehen und den ersten Raid gemeistert hatte, machte sich Ernüchterung breit. Zu wenig Endgame-Inhalte sorgten für herbe Kritik an Bungie. Die ersten beiden DLCs konnten daran nichts ändern. Sie verschlimmerten die Situation nur noch mehr, weil sie angesichts des Preises, den der Season Pass kostet, zu wenig und nicht ausreichend spannenden Inhalt geboten haben. Nun soll's Forsaken, die erste große Erweiterung für Destiny 2, richten. Es soll quasi das König der Besessenen des zweiten Serienteils sein.
Schluss mit lustig!
Bevor ihr euch dem Grind voll und ganz hingeben könnt, steht erst einmal die Kampagne von Destiny 2: Forsaken auf dem Plan. Und die beginnt sogleich dramatisch: In einer toll inszenierten, optisch nahezu auf Blizzard-Niveau operierenden Zwischensequenz, erlebt ihr mit, wie Cayde-6 ermordet wird. „Oh nein, Jens, jetzt hast du uns gespoilert!“, wird manch einer von euch vielleicht denken. Aber wenn dem so ist, dann habt ihr euch entweder gegenüber jeglicher Informationen zum Add-on seitens Bungie verschlossen oder seid gar kein „Destiny 2“-Spieler. De facto haben die Entwickler den Tod des Sprüche klopfenden und im Original von Nathan Fillion („Firefly“, „Castle“) vertonten Cayde-6 selbst bei der Ankündigung von Forsaken vorweggenommen.
Um es kurz zu machen: Ja, das Ableben des erfahrenen Jägers ging nicht spurlos an mir vorbei. Die Destiny-Reihe ist nicht dafür bekannt, starke Charaktere zu bieten, an denen einem wirklich etwas liegt. Cayde-6 hat mich aber stets zum Schmunzeln gebracht. Das Bungie den mutigen Schritt geht und ausgerechnet den Helden aus der Story herausschreibt, den die Fans am meisten mögen, ist mutig. Gerade auch, weil der Exo in der ersten Hauptmission von Destiny 2: Forsaken nochmal richtig schöne Szenen bekommt und witzige One-Liner von sich gibt, ist es so schade, dass er den Löffel abgibt. Daraufhin beschließt ihr, Rache zu üben. Rache an denen, die für den Tod eures Freundes verantwortlich sind: dem wahnsinnig gewordenen Uldren Sov, dem Prinzen der Erwachten, und den acht Hohn-Baronen.
Viele Bosse, wenig Story
Die Kampagne der Erweiterung dreht sich zu 90 Prozent darum, einen Fiesling nach dem anderen umzulegen. Das Coole daran: Jeder der acht Barone hat seine Eigenarten. Der Schütze zum Beispiel erschafft ständig Trugbilder von sich selbst, die Raserin wiederum macht ihrem Namen alle Ehre und ist von ihrem Moskito nicht zu trennen. Dadurch bekommt jeder der acht Bosskämpfe eine eigene Note verliehen.
Schade ist jedoch, dass sechs davon nicht in aufwendig inszenierte Story-Missionen verpackt sind, sondern lediglich in Form von „Abenteuern“, was eigentlich die Nebenmissionen in der offenen Welt sind, daherkommen. Die gesamte Kampagne ist dadurch sehr arm an Geschichte und aus dem Tod von Cayde-6 macht sie letztendlich zu wenig. Er wird anfangs kurz betrauert und das war es im Grunde. Klar, Destiny hat sich noch nie in Sachen Story mit Ruhm bekleckert. Doch angesichts der guten Prämisse ist es doppelt schade, dass Bungie mal wieder Potenzial hat liegen lassen.
Immerhin gibt es dafür endlich Lore-Texte innerhalb des Spiels, jede Menge sogar. Stellt euch so was die Grimoire-Karten aus dem Vorgänger vor, nur dass ihr die Infos nicht auf einer externen Webseite erhaltet. Wer tiefer in die Welt von Destiny 2 eintauchen kann, kann das in Forsaken also tun.
Wer braucht schon Gewehre, wenn es einen Bogen gibt?
Alles in allem hat mir die Kampagne dank der abwechslungsreichen Bosskämpfe trotz der Schwächen viel Freude bereitet. Und es spielte sicherlich auch eine Rolle, dass es endlich wieder etwas Neues zu tun gab – einen Grund, das nach wie vor brillante Shooter-Gameplay von Destiny 2 zu genießen. Das gilt auch dann, wenn ihr den neuen Bogen benutzt. Der hinkt den anderen Waffengattungen in nichts nach. Es fühlt sich extremst befriedigend an, Gegnern einen Pfeil in den Kopf zu jagen. Das Treffer-Feedback ist auch in diesem Fall grandios, weshalb der Bogen sogar mein heimliches Highlight von Destiny 2: Forsaken ist.
Das ist aber nicht die einzige sinnvolle Neuerung: Endlich gibt es Waffen mit zufälligen Perks („Random Rolls“), genau wie im ersten Destiny. Das macht den Grind beziehungsweise das Looten gleich viel interessanter. Außerdem hat Bungie das Loadout-System überarbeitet: Schrotflinten und Scharfschützengewehre sind nicht mehr auf die Kategorie der „Schweren Waffen“ limitiert, so dass ihr auch Primärwaffen dieser Art finden könnt. Dadurch seid ihr viel flexibler, was euer Arsenal betrifft.
Kein Mangel an Beschäftigung
Genug Inhalt hat Destiny 2: Forsaken in jedem Fall zu bieten. Mit der „Verschlungenen Küste“ und „Träumenden Stadt“ gibt es gleich zwei neue Gebiete, Letzteres schaltet ihr erst nach Abschluss der Kampagne frei. In den Arealen gibt es mehr als genug zu entdecken, speziell die Endgame-Zone steckt voller Geheimnisse. Außerdem könnt ihr für jede der neun Subklassen eine neue Super freischalten. Das macht das viel zu seichte Skill-System nicht wirklich komplexer, sorgt aber zumindest für etwas mehr Varianz.
Dank täglicher sowie wöchentlicher Beutezüge habt ihr ständig etwas zu tun, wenn ihr gerade mal nicht mit Freunden durch Strikes hetzt, euch im PvP mit anderen Spielern messt oder der größten PvE-Herausforderung, dem jüngst veröffentlichten Raid, stellt. Bis ihr für diese große Instanz bereit seid, ist einiges an Grind nötig. Sie dann auch noch komplett zu meistern, wird euch für einige weitere Stunden beschäftigen.
„Gambit“ rockt!
Abseits der reinen PvE- beziehungsweise PvP-Aktivitäten gibt es mit „Gambit“ noch eine interessante Mischung aus beidem, die sich gewaschen hat. Zwei Teams treten gegeneinander an, kämpfen aber in erster Linie gegen KI-Gegner. Die lassen Partikel fallen, die ihr tunlichst einsammeln und zur Bank bringen solltet. Hat euer Team genug beisammen, wird ein Boss heraufbeschworen. Das Team, das seinen Endgegner als erstes besiegt, gewinnt die Runde.
Das Salz in der Suppe bildet die Möglichkeit, dem anderen Team einen Blocker zu schicken. Dann können eure Kontrahenten für eine kurze Zeit keine Partikel in der Bank ablegen. Alle 25 eingezahlten Partikel eurerseits ist es sogar erlaubt, dass ein Spieler aus eurem Team in der Arena der Konkurrenten vorbeischaut und sie selbst aktiv stört. All das macht „Gambit“ zu einem äußerst unterhaltsamen Modus, der allein euch schon viele Stunden bei Laune halten kann, zumal er seine eigenen Belohnungen mit sich bringt.
Fazit – Destiny 2: Forsaken
Ist Forsaken das König der Besessenen für Destiny 2? Nun ja, so groß wie der Sprung damals beim Vorgänger ist er im Fall der ersten großen Erweiterung des zweiten Teils nicht. Das liegt aber auch daran, dass Destiny 2 vorher ein deutlich besseres Spiel war als das Seriendebüt vor seinem ersten großen Add-on. Das soll nicht heißen, dass Forsaken enttäuscht. Die Kampagne hätte zwar mehr gut inszenierte Story-Missionen gebrauchen können, spielerisch hat sie mir aber sehr viel Spaß gemacht. Die beiden neuen Patrouillen-Zonen sind optisch sowie in Sachen Leveldesign richtig gut geworden, die Gameplay-Verbesserungen und -Neuerungen fügen sich wunderbar ein und „Gambit“ ist der perfekte Modus für all diejenigen, die ungern normale PvP-Matches spielen, sich aber dennoch mit anderen messen wollen.
Ich würde jedem Besitzer von Destiny 2 empfehlen, dem Spiel mit Forsaken nochmal eine Chance zu geben, auch wenn der Preis von 40 Euro angesichts dessen, dass ihr zwingend die beiden vorherigen DLCs benötigt, ganz schön happig ist. Nun liegt es jedoch an Bungie, mit regelmäßigen Content-Updates und Events, die sie versprochen haben, die Spieler bei Laune zu halten und mit den nächsten DLCs Besseres abzuliefern als mit Fluch des Osiris und Kriegsgeist. Dann könnte Destiny 2 dauerhaft wieder auf festen Pfaden wandern. Gelingt das nicht, wird Forsaken allein nicht verhindern können, dass der Shooter demnächst wieder im Matsch stecken bleibt.