Metro Exodus – Raus aus der U-Bahn, rein ins S.T.A.L.K.E.R.-Paradies!
Veränderungen sind mal gut, mal schlecht. Aber sie sind in jedem Fall wichtig, denn ohne sie kann keine Weiterentwicklung stattfinden. Das weiß auch 4A Games. Der ukrainische-maltesische Entwickler hatte nach zwei Metro-Spielen keine Lust mehr auf virtuelle U-Bahntunnel. Etwas Neues musste her, aber man wollte der Serie treu bleiben, die Geschichte rund um Artjom weitererzählen. Die logische Konsequenz könnt ihr nun seit Mitte Februar in Form von Metro Exodus spielen – und das solltet ihr auch.
Nicht Open-World, aber dennoch sehr offen
Als Metro Exodus 2017 angekündigt wurde, sorgte es nicht nur mit seiner beeindruckenden Grafik für Aufsehen. Statt schlauchartigen Untergrundarealen präsentierte 4A Games eine scheinbar offene Spielwelt. Sofort wurden Vergleiche zu S.T.A.L.K.E.R. gezogen – nicht nur aufgrund des ähnlichen Szenarios, sondern auch, weil 4A Games von ehemaligen Mitarbeitern von GSC Game World gegründet wurde. Die Mitteilung, dass Metro Exodus jedoch kein Open-World-Titel sei, folgte schnell. Man wolle den Fokus immer noch auf die Geschichte legen, ein lineares Spiel entwickeln, das dem Spieler aber diesmal mehr Raum zum Erkunden geben sollte, so die Entwickler. Herausgekommen ist ein Shooter, der einen Mix aus weitläufigen und eng abgesteckten Gebieten bietet.
Umrahmt ist das Ganze von einer klassischen Roadtrip-Geschichte: Artjom, seine Frau Anna und die Spartaner, die Militärtruppe, der der Held angehört, verlassen die Metro Moskaus und suchen eine neue Heimat an der Erdoberfläche. Wie sich herausgestellt hat, ist Russland gar nicht komplett verstrahlt, in vielen Gebieten lässt sich frische Luft einatmen. Mit ihrer Lokomotive, der Aurora, tuckert die Truppe durch das riesige Land. Da Metro Exodus aber nun mal kein Train Simulator ist, kommt es immer wieder zu freiwilligen oder gezwungenen Stopps.
Gestalten sich die ersten zwei Stunden noch sehr linear, landet ihr danach in einem Gebiet an der Wolga. Das Areal ist in etwa so weitläufig wie eine große Battlefield-Map – nicht riesig, aber genug Platz zum Erkunden ist vorhanden. Schon nach wenigen Minuten in dieser Landschaft kam in uns das S.T.A.L.K.E.R.-Gefühl auf. Überall erblickten wir die Überreste der alten Welt, Mutantenrudel durchstreiften die Gegend, nachts mussten wir uns sogar vor Anomalien in Acht nehmen.
Da macht das Erkunden Spaß
Es gibt die Leute, denen es stinkt, dass Metro Exodus das Spielgeschehen hauptsächlich auf überirdische Gebiete verlegt hat. „Das ist nicht mehr Metro“, liest man hier und da. Wir konnten aber gar nicht genug von den Open-World-artigen Gebieten bekommen (und die typischen Metro-Gebiete mit wenig Licht und dem gewissen Horroreinschlag gibt es auch immer noch). Die sind mit viel Liebe zum Detail gestaltet und bieten einiges zum Entdecken - seien es nun Orte, die rein durch ihr Design Geschichten erzählen, oder nützliche Gegenstände.
Alles davon fühlt sich belohnend an, egal ob ihr nun eine Waffe mit einem Aufsatz findet, der euch in eurer Sammlung noch fehlt, oder nur Ressourcen für das erfreulich simple, aber wichtige Crafting-System. Rohstoffe gibt es derer nur zwei (Metalle und Chemikalien) und ihr könnt damit an in der Spielwelt verteilten Werkbänken Munition, Medipacks, Filter für die Maske sowie Wurfgegenstände wie Molotowcocktails herstellen. Außerdem ist es wichtig, eure Waffen regelmäßig zu säubern, damit euch Ladehemmungen nicht im Kampf zum Verhängnis werden.
Die Erforschung der offenen Levels macht so viel Spaß, dass es wirklich schade ist, dass 4A Games genaugenommen nur zwei dieser Schauplätze gebaut hat. Neben dem Abschnitt an der Wolga gibt es noch ein großes Wüstengebiet am Kaspischen Meer, ansonsten nur noch einen etwas breiteren Schlauchlevel, der Rest ist strikt linear. Dennoch machen die beiden Open-World-Gebiete den Großteil der mindestens 20 Stunden Spielzeit von Metro Exodus aus. Allein am besagten Fluss haben wir knapp acht Stunden verbracht und selbst in dieser Zeit nicht alles entdeckt.
Banditen sind nicht die hellsten
Metro Exodus überzeugt aber eben nicht nur mit Quantität, sondern auch mit Qualität. Neben den fantastisch designten Umgebungen hat der Titel ein sehr gutes Shooter-Gameplay zu bieten – mit einer Einschränkung: der Gegner-KI. Bei Mutanten fällt die nicht so sehr ins Gewicht, aber bei den humanoiden Feinden fällt eben schon auf, dass sie nicht die Cleversten sind. Wir hatten etwa eine Situation, in der wir mitten in einem Banditenversteck entdeckt wurden. Dabei befanden wir uns im Obergeschoss eines Gebäudes, der Boden war jedoch nicht komplett frei von Löchern. Anstatt dass die Halunken zu uns hoch kamen, blieben sie im Parterre, irrten wild umher und wir konnten sie ganz entspannt durch die Öffnungen im Boden erschießen.
Dem gegenüber stehen das sehr gute Gunplay (es fühlt sich einfach toll an, Mutanten oder Banditen über den Haufen zu schießen)und die große spielerische Freiheit. Ihr entscheidet, wie ihr vorgehen wollt, wenn ihr zum Beispiel ein Banditencamp aufmischen sollt. Natürlich könnt ihr mit gezogener AK hineinrennen. Angesichts dessen, dass Munition aber ein rares Gut ist, ist es klüger, die Stealth-Möglichkeiten von Metro Exodus zu nutzen. Das Schleichen funktioniert genauso gut wie in Metro: Last Light. Lichtquellen auszuschalten, ist enorm wichtig, damit ihr stets in den Schatten wandert. Und wenn ihr später das Nachtsichtgerät habt, fühlt ihr euch erst recht wie Sam Fisher – oder eben wie sein russischer Vetter.
Die Postapokalypse lebt
Trotz der dummen KI kommt es im Spiel immer wieder zu tollen Momenten. Da wäre etwa die Situation, in der wir uns ein paar Banditen an einer alten Tankstelle vorknöpfen wollten, entdeckt wurden und sich kurz nach den ersten Schüssen plötzlich die Tiermenschen (Zombie-artige Mutanten) von nebenan zum Mittagessen eingeladen fühlten. Sie stürzten sich auf die Gauner, deren zwei letzten Überlebenden konnten die Bestien ausschalten, wir erschossen einen von ihnen und der letzte Mann ergab sich. Ja, das war ein erfolgreicher Tag.
Solche Situationen sorgen nicht nur für Spannung, sondern lassen die Welt von Metro Exodus auch sehr lebendig wirken. Atmosphärisch hat 4A Games hier wieder ein richtiges Brett abgeliefert. Das Spiel hat ein fantastisches Sounddesign, einen dynamischen Tag-/Nacht- sowie Wetterwechsel (die Gewitter!) und einfach viele Details zum Verlieben. Wenn etwa eine Krähe über eine Elektroanomalie hinwegfliegt, letztere sich aber in dem Moment entlädt, stürzt der Vogel im gegrillten Zustand gen Boden. Und wenn ihr sprintet, fängt Artjom irgendwann an, schwerer zu atmen und ihr hört, wie sein Puls Tempo aufnimmt – großartig!
Darüber hinaus sieht Metro Exodus extremst gut aus. Vor allem die Licht- und Schatteneffekte gehören mit zum Besten, was Videospiele derzeit zu bieten haben. Wenn das Sonnenlicht durch das Geäst der Bäume fällt oder sich im Wasser spiegelt, möchte man einfach einen Screenshot machen und ihn bei sich in der Wohnung aufhängen – dank eingebautem Fotomodus kein Problem.
Die Musik ist ebenfalls hervorragend. Sie reagiert dynamisch auf das Spielgeschehen, passt stets zur Situation, drängt sich aber auch nie in den Vordergrund. Es gibt sogar viele Szenen, in denen gar keine Musik läuft, weil allein die Umgebungsgeräusche wie der durchs Gras fahrende Wind, die Laute der Krähen oder das Knurren von Mutanten ausreichen, um euch in die Atmosphäre einzusaugen.
Schwache Sprecher, starke Charaktere
Wenn wir aber schon bei der Vertonung sind, müssen wir auch noch ein wenig Kritik üben. Dass die Schrittlaute von Artjom komisch klingen? Geschenkt! Aber die Synchronsprecher hätten durchaus einen besseren Job machen können. Sowohl im Englischen als auch Deutschen bekommt ihr es nicht mit den besten Darstellern zu tun. Oftmals ist deutlich herauszuhören, dass die Texte abgelesen wurden.
Das schmälert allerdings nicht die Qualität der Dialoge. Ja, ihr solltet hier nichts auf dem Niveau eines Red Dead Redemption 2 erwarten, aber Rockstars Westernepos ist gar kein so schlechter Vergleich. Denn ähnlich wie euch dessen Charaktere mit der Zeit ans Herz wachsen und das Gefühl geben, Teil einer Familie zu sein, so ist es auch in Metro Exodus. Wo der eigentliche Plot eher solide als herausragend gut ist, schaffen es einzelne Momente immer wieder, emotional zu ergreifen.
Wenn ihr etwa im unwirtlichen, gefährlichen Wolga-Gebiet für Stepan, einen eurer Waffenbrüder, eine Gitarre besorgt und dann später im sicheren Zug mit ihm zusammen ein Stück spielt, ist das die perfekte Art vom Spiel zu sagen: „Hey, die Welt da draußen ist die Hölle, aber hier in diesem Fahrzeug ist noch Platz für einen Moment der Freude und des gemütlichen Beisammenseins, in dem man ganz kurz all seine Sorgen beiseiteschieben kann.“ Diese Augenblicke sind es, die Metro Exodus zu etwas ganz Besonderem machen.
Da ist es bloß umso trauriger, dass Artjom auch im dritten Teil der Reihe außerhalb der Ladebildschirme kein Wort sagt – und wir verstehen es nach wie vor nicht. Zudem begeht das Spiel den Fehler, sich dessen nicht in jeder Situation bewusst zu sein. Wenn der Hauptcharakter etwa eine andere Person zu etwas überreden soll oder Anna sich besorgt per Funk meldet, weil sie aufgrund von Verbindungsproblemen nichts mehr von ihrem Ehemann hört, wirkt das leider unfreiwillig komisch. Metro Exodus schafft es zwar trotzdem, eine emotionale Bindung zu den Figuren aufzubauen, doch würde Artjom sprechen, wäre dieser Effekt noch viel intensiver und die Immersion würde nicht ständig gebrochen werden.
Fazit – Metro Exodus
Ego-Shooter sind heutzutage in der Regel laute Actionfeste, bei denen eine Explosion die nächste jagt. Metro Exodus zeigt, dass es auch im Jahr 2019 immer noch anders geht. 4A Games wollte vor allem eine Geschichte erzählen und ein atmosphärisch dichtes Spiel kreieren, in dem zwar auch kräftig geballert werden kann, das aber weder im Vordergrund steht noch Überhand nimmt. Der Wechsel zu offeneren Gebieten, die es sich lohnt zu erkunden, hat sich als gewinnbringend erwiesen.
Ja, Metro stand bislang für dieses Klaustrophobische, aber es ist ja auch nicht so, als wärt ihr in Exodus gar nicht mehr in düsteren Innenarealen unterwegs. Es ist ein noch abwechslungsreicheres Spiel als die Vorgänger, es sieht fantastisch aus, spielt sich toll und packt uns auch auf emotionaler Ebene. Dass Artjom immer noch größtenteils stumm ist und die KI sich nicht mit Ruhm bekleckert, sind zwei schwarze Flecken auf dieser ansonsten strahlend sauberen Weste, die man nicht übersehen kann. Aber sie sollten euch nicht davon abhalten, einen der besten Singleplayer-Shooter der vergangenen Jahre zu spielen.
Metro Exodus ist seit dem 15. Februar 2019 für PC, PS4 und Xbox One erhältlich. Zum Test lag uns die PC-Version vor.
Bildquelle(n): Deep Silver / Koch Media